Ein Nachruf

Die Distanz zu meiner letzen Begegnung mit Anatol überspannt in etwa die Zeit meiner gesamten Beschäftigung mit diesem Künstler. Zuletzt traf ich Anatol 2012. An diesem Zeitpunkt konnte er sich noch dunkel an mich erinnern: an einen Studenten, der sich, ermuntert durch den Lehrkörper eines kleinen Instituts, eigenständig einem bis dahin kaum ergründeten Œuvres eines Künstlers zu nähern wagte.

All diese Beschäftigungen flossen in Haus- und Abschlussarbeiten ein und sind doch nicht in Gänze abgeschlossen. Immer wieder fördern meine Aufzeichnungen ungewöhnliche Perspektiven auf einzelne Arbeiten zutage. Zumal nicht alle denkbaren Archivalien ausgehoben sind.

Bei unserer letzten Begegnung lagen diese Schriften bereits zurück, der Abschluss bestanden. »Du hast doch mal was über mich geschrieben«, waren Anatols Worte, als er versuchte mein Angesicht zu sortieren. Hier erinnerte er sich an ein kleines Heft, das im Rahmen eines Studienprojektes entstand und kurze Texte zu Künstlern und Werken in und aus Hombroich enthält. Dieses Heft war zu diesem Zeitpunkt das Final meiner Beschäftigung mit Anatols Kunst. In ihm formulierte ich das Thema meiner kunsthistorischen Masterarbeit mit dem Titel: »Anatol, Hombroich und die Natur. Der Mensch als Zentrum von Kunst und Welt im Werk von Anatol. Aufgezeigt am Beispiel seiner Arbeiten Parlament (1992) und Kirche (1988)«.

Es faszinierte mich, dass Anatol selbst bei Arbeiten, die den Schutz der Natur zum Thema hatten, stets den Menschen als Faktor mitdachte. Natur ist nicht ohne den Menschen denkbar. Es ist der Mensch, der sich einen Begriff von der Natur macht und die Veränderungen begreift, welche durch sein eigenes Tun hervorgerufen werden. Damit verweist Anatol auf philosophische Debatten und die Frage, ob Natur ohne Mensch denkbar ist.

Anatol begegnete mir zuerst im März 2006. Zu diesem Zeitpunkt besuchte ich ein Seminar über die Documenta Ausstellungen bei Martin Damus. Mein Interesse an Anatol und seinen Arbeiten beruht auf frühen Berichten meines Vaters. Polizeibeamter wie Anatol kam er auf Symposien zum Puppenspiel in der Polizeiarbeit in Kontakt mit dem Künstler. Angeregt von den Erzählungen meines Vaters und aus meinem großen Interesse an der Plastik und an der Kunst im öffentlichen Raum heraus, zwei Bereichen, in denen Anatol seit Jahrzehnten aktiv ist, führte in eben jenem Jahr ein persönliches Gespräch mit Anatol. Ich machte einen Termin, fuhr nach Neuss-Holzheim und begegnete zum ersten Mal dem Künstler, der für das Interview zunächst seinen Hut aufsetzte. »Denkerhut« nannte er ihn damals.

Ich versuchte seine Arbeiten zu verstehen, die Anatol in Kassel zwischen 1974 und 1982 präsentierte. Insbesondere die Arbeiten Blockhütte und Traumschiff Tante Olga, welche nicht alleine plastisch-skulpturale Arbeiten darstellten, sondern in einem narrativ-performativen Rahmen präsentiert wurden. Der öffentlichkeitswirksame Aktionismus war bemerkenswert.

Schnell lernte ich, dass es unmöglich scheint, Anatol zielgerichtet Informationen zu entlocken. Kurz und knapp beantwortet Anatol die eigentliche Frage, wedelt mit der rechten Hand; „Mach‘ mal weiter mit Deinen Fragen.“ Zwischendrin geriet Er jedoch ins Schwärmen. Anatol erzählte in bunten Bildern von seiner Lehrzeit bei Beuys, wie er ihm begegnete, wie er Aktionen mit Beuys machte und wie er den eigenen Lehrmeister im Einbaum über den Rhein setzte.

Die sprachlich gearbeiteten Bilder sind wiederkehrende Geschichten, die Anatol bei zahlreichen Begebenheiten und in vielen Interviews zum Betsen gibt. Wohlgeformte sprachliche Skulpturen. Ganz wie seine Plastiken. Darin schwingen unzweifelhaft Gedanken Joseph Beuys‘ mit, der in seiner Sozialen Plastik die Arbeit an der Gesellschaft proklamierte.

„Er fehlt uns,“ fügte Anatol hinzu und deutet auf ein Porträt Beuys. Genauso wird Anatol fehlen. Er ist der letzte der Künstler, welche die Insel Hombroich prägten und ihr Charakter gaben. Die Arbeitszeit ist beendet und der Meißel ruht nun für immer. Anatols künstlerisches Erbe lebt jedoch genauso fort, wie seine Geschichten. Solange es Menschen gibt, die von Anatol und seinen Erzählungen berichten, wird auch Anatol bestehen.

Anatol in seiner Werkstatt.
Anatol in seiner Werkstatt, März 2006.

Hombroich

L’art est une harmonie parallèle à la nature.

(Paul Cézanne; 1839-1906; um 1900[1])

Bereits der erste Besuch „auf“ der Insel Hombroich fasziniert durch seine Andersartigkeit. In dieser Exposition wird Hombroich mit dem Kröller-Müller Museum in Otterloh und Louisiana Museum in Kopenhagen in einem Atemzug genannt.[2]

Es fällt schwer den komplexen Kulturraum, welcher seit inzwischen beinahe dreißig Jahren besteht, in Worte zu bannen: Was ist die „Insel“?

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