Hombroich

L’art est une harmonie parallèle à la nature.

(Paul Cézanne; 1839-1906; um 1900[1])

Bereits der erste Besuch „auf“ der Insel Hombroich fasziniert durch seine Andersartigkeit. In dieser Exposition wird Hombroich mit dem Kröller-Müller Museum in Otterloh und Louisiana Museum in Kopenhagen in einem Atemzug genannt.[2]

Es fällt schwer den komplexen Kulturraum, welcher seit inzwischen beinahe dreißig Jahren besteht, in Worte zu bannen: Was ist die „Insel“?

Eindeutig wird diesem Komplex aus Museum, Produktionsort und Gemeinschaft wohl nie eine sprachliche Form zu geben möglich sein. Es würde dutzende von Studien erforderlich machen, dem Kern der Insel auch nur nahe zu kommen. Die Insel beherbergt nicht alleine Kunst, und schon gar nicht Kunst aus einer einheitlichen Sammlung. Neben europäischer Kunst aus unterschiedlichen Epochen und Ländern finden sich fernasiatische Objekte, Kultgegenstände aus Afrika und zahlreiche weitere Ausstellungsstücke. Musiker und Dichter bevölkern die Insel ebenso wie Bildende Künstler. Ein besonderer Aspekt ist das umfangreiche Archiv der Insel, welches Nach- und Vorlässe zahlreicher, der Insel verbundenen Menschen beherbergt. Heterogenität schein einer ihrer Charakterzüge zu sein. Karl-Heinrich Müller, Gründer der Insel und damit so etwas wie ihr Vater, nannte sie „ur-weiblich“. Ob diese adjektivische Betrachtung der Insel gerecht wird, mag angezweifelt werden, zumal dieser Begriff aus dem Kontext gerissen wurde:

Die Insel ist urweiblich. / Sie gebärt, hält zusammen, stützt, dient und läßt frei. / Sie ist kein Muß, sondern ein Darf. / Sie ist nicht entweder – oder, sondern sowohl – als auch. / Sie fordert jeden zur täglichen Auseinandersetzung mit sich selbst. / Sie ist kein männliches Feld für Organisation, Hetzjagd, Anhäufung, Macht und Demonstration. [3]

Lässt man die begriffliche und kategoriale Trennung von „weiblich“ und „männlich“ zunächst außer Acht, zeigen sich in diesem kurzen Abschnitt bereits erste Spuren dessen, was man als das Wesen der Insel bezeichnen könnte: das stetig und beständig Wandelbare. Stillstand würde Tod bedeuten. Der Prozess des sich stets neu Erfindens wird auch im wei-teren Verlauf des Textes von Müller deutlich. Die Insel wurde niemals auf ein Ziel hin erarbeitet, niemals wurden Konzepte oder Pläne ersonnen. Stets war das Spontane und vor allem das aus tiefstem Herzen überzeugt sein Antrieb für die Gestaltung und Veränderung der Insel. Bereits Friedrich Nietzsche verwies in seiner Streitschrift Zur Genealogie der Moral (1887) auf die Tatsache hin:

definirbar ist nur Das, was keine Geschichte hat. [4]

Dieses ebenfalls aus dem Kontext gerissene Zitat deutet auf einen besonderen Aspekt des Geschichtsbildes von F. Nietzsche hin. Ihm zufolge sind es die Begriffe, welche in sich einen ganzen Prozess vereinen, die sich einer Definition entziehen. „Geschichte,“ so Andreas Kotte, „wird als Prozess des tatsächlichen Gewordenseins verstanden.“[5]

Die Veränderlichkeit der Insel, ihr stets aktuelles und immer neues „Gewordensein“ macht es schließlich unmöglich, die Insel als Gesamtes zu erfassen. Hierfür notwendig wäre ein rein historischer Blickpunkt, der aber nur dann eingenommen werden kann, wenn die Insel stillstände, wenn sie aufhörte zu existieren.

Eines der Rädchen in der großen (organischen) Maschine der Insel ist Anatol. Wie auch die Insel ist sein Schaffen von beständigem Wandel geprägt. Er schafft aus einem eigenen un-gebrochenen Antrieb heraus Kunst und formt mit ihr das Bild der Insel Hombroich. Vor allem aber ist er als Mensch und als Künstler ein integraler Bestandteil des Ortes. Ein Stück der Insel wurde Anatol durch „den Müller“, wie Karl-Heinrich Müller schlicht genannt wird, geschenkt und auf dem er nach seinen Vorstellungen schalten und walten kann:

Komm rüber sagt der, ich kauf ne Insel. Ich rüber, stand der da, der Notar stand da drüben, innerhalb von zwei, drei Stunden hat der das alles hier gekauft. Hier wird das Museum entstehen, sagt er. Da drüben, Anatol, da kannst du dein Haus bauen lassen. Hier kannst du fischen, denken, reden, denken, aus. [6]

Und wie alle anderen Bereiche ist auch dieser Teil für jeden gleichermaßen zugänglich. Keinem Besucher wird das Betreten des Areals verwehrt. Nur eine kleine Kette schirmt den direkten Eingangsbereich seiner Hütte und den davor gelegenen Arbeitsplatz ab. Mit einer inbrünstigen Begeisterung und Ausdauer erzählt Anatol den Besuchern von seiner Vergan-genheit – sei es die Kindheit in Ostpreußen, das Studium „beim Beuys“ – oder von zeitaktuellen und historischen Geschehnissen.

Das Sprechen über Kunst, über Geschichte und Politik, aber auch alle anderen Bereiche des Alltags – hier mag man spontan an die Tendenz der Zusammenführung von Kunst und Leben im 20. Jahrhunderts denken – sind wesentlicher Bestandteil der Kunst Anatols und damit wiederum integraler Bestandteil der Insel Hombroich. Dieser Aspekt einer Gemein-schaft findet sich meines Erachtens auch in zwei der Großinstallationen Anatols auf dem Areal der Insel Hombroich wieder: Das Parlament und Die Kirche.

[1] Paul Cézanne zitiert nach Dittmann, Lorenz (2005): Die Kunst Cézannes; Farbe – Rhythmus – Symbolik. Köln et al.: Böhlau, S. 337 Fußnote 9

Das genannte Zitat P. Cézannes verdeutlicht, zu einer aphoristischen Phrase verkürzt, dass Kunst als eigenständige Schöpfung der Natur nebengeordnet und ihr nicht untergeordnet sei. Dabei ist zu beachten, dass die Gespräche mit Paul Cézanne von Joachim Gasquet aus dem Gedächtnis niederge­schrieben wurden. Die damit zusammenhängende Problematik, der Ungenauigkeit war sogar J. Gasquet selbst bewusst. (Hess, Walter (1980): Paul Cézanne: Über die Kunst; Gespräche mit Gasquet, Briefe. Mittenwald: Mäander, S. 9) In seiner Magisterarbeit zur Landschaft und Architektur: Ideologie des Museums Insel Hombroich (2000, Univ. Mag. Lüneburg) greift Timon Kuff diesen Aspekt kritisch heraus und sieht in dem „Filter“ Gasquet die „Inanspruchnahme des großen Malers für das Hombroicher Museum mehr als fragwürdig.“ (Kuff, Timon (2000): Landschaft und Architektur: Ideologie des Museums Insel Hombroich. Univ. Mag. Lüneburg, S. 2 und Fußnote 1) Hierbei lässt T. Kuff jedoch eine Trennung von faktischer und erinnerter Vergangenheit, also eine Trennung von Geschichte und kulturellem Gedächtnis (J. Assmann) außer Acht.

(zum Zitat von Cézanne: Voßkühler, Friedrich (2004): Kunst als Mythos der Moderne; Kulturphilosophische Vorlesungen zur Ästhetik von Kant, Schiller und Hegel über Schopenhauer, Wagner, Nietzsche und Marx bis zu Cassirer, Gramsci, Benjamin, Adorno und Cacciari; mit Werkinterpretationsentwürfen zur bildenden Kunst, Musik und Literatur. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 237)

[2] Buttlar, Adrian von (1997): „Revival des Landschaftsgartens? Zu aktuellen Tendenzen der Gartenkunst“. In: Baumüller, Barbara; Bauer, Hermann (Hgg.) (1997): Inszenierte Natur; Landschaftskunst im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart: DVA, S. 96-117; hier S. 101

[3] Karl-Heinrich Müller in: Katalog Stiftung Insel Hombroich (2007): Stiftung Insel Hombroich; Museum und Raketenstation. 5. Auflage. Neuss: Stiftung Insel Hombroich, S. 35

[4] Nietzsche: Zur Genealogie der Moral II, 13

(siehe hierzu Daniel, Ute (2003): Kompendium Kulturgeschichte; Theorie, Praxis, Schlüsselwörter. 4. Auf­lage. Suhrkamp-Taschenbuch Wissen Bd. 1523. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 9)

[5] Kotte, Andreas (2006): „Definierbar ist nur, was keine Geschichte hat. Über Fortschritte der Medien und Wandlungen von Theater“. In: Schoenmakers, Henri (Hg.) (2008): Theater und Medien; Grundlagen – Ana­lysen – Perspektiven; Eine Bestandsaufnahme. Bielefeld: Transcript, S. 31-42, hier S. 31

[6] Anatol über Karl-Heinrich Müller in der Sendung „Eine kurze Geschichte von …“ unter dem Titel „Eine kurze Geschichte von Anatol Herzfeld, dem Polizisten auf Kunststreife“, ausgestrahlt am 12.09.2009 auf WDR5. Köln: Westdeutscher Rundfunk.

(Das dem Zitat zugrunde liegende Transkript der Sendung ist inzwischen nicht länger online verfügbar)

Eine Reihe von Diapositiven, vermutlich von Anatol fotografiert, im AdSIH zeigen K.H. Müller und Erdmute Herzfeld bei einer frühen Erkundung des Parks um das Rosa Haus; lange vor Entstehung der ersten Pavil­lons.

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