Stühle

Inkurs

Im Zuge des »Ausstiegs aus dem Bild«[1] der 1950er und 1960er Jahre, in denen Künstler sich kritisch-reflexiv mit dem illusionären Bildraum befassten, entwickelt sich zunehmend eine auf mehreren Ebenen raumgreifende Kunst. Kunst und Wirklichkeit entwickeln eine annähernde Deckungsgleichheit. Der Alltag floss in die Kunst ein und die Kunst trat in einer Art Gegenbewegung aus dem Bild (Objekt), stieg vom Sockel (Bodenplastik und Installation) und schloss den Betrachter schließlich in eigenen »Milieus« (Environments) ein. Hier im realen (Um-)Raum wird der Rezipient in und mit seiner Leiblichkeit konfrontiert. Kunst beginnt nicht alleine den physikalischen Raum einzunehmen, sie organisiert ihn zugleich um und produziert in diesem Zuge einen neuen, sozialen Raum.[2] Dies korreliert zeitlich mit einer gesteigerten künstlerischen Auseinandersetzung mit Stuhl und Sitzen und mit einer politischen Bewegung innerhalb der Gesamtgesellschaft und einer daran gekoppelten politischen Sensibilität und Aussagekraft in und durch die Bildende Kunst.[3]

Zeitgleich zu diesen Entwicklungen tauchen massive Nutzungen des Stuhls in der Bildenden Kunst auf. Begleitet werden sie in der Soziologie und Philosophie von Überlegungen einer Neuausrichtung der theoretischen Fundierung des Menschen als Individuum. Nicht mehr der cartesische Zweifel war ausschlaggebend, sondern von nun an wurde das Individuum als Relation zwischen Ich und Du, dem Dialogischen, verstanden. Der Stuhl scheint eine besondere Schnittstelle zwischen den traditionell als disjunkt gedachten Sphären Kunst und Alltagswelt einzunehmen.[4] Seine Existenz als Ding und Zeichen gleichermaßen verleiht dem Stuhl die Fähigkeit die Grenzen zwischen Kunst und Alltag aufzuheben oder sie zumindest unscharf oder durchlässig werden zu lassen. Er existiert in seiner plastischen Form in beiden Bereichen zugleich und doch scheint ihn die Bildende Kunst oft auf andere Weise zu gebrauchen, als er im Alltag genutzt wird. Er ist historisch Symbol von Herrschaft und Instrument herrschaftlichen Rituals. Und doch Ausdruck einer demokratischen Gesellschaft.

Das Sitzen als symbolische Handlung und der Stuhl als sein Medium

Das »Herrschaftliche« der Kunst ist nicht unmittelbar oder ausschließlich an den Stuhl oder das Sitzen geknüpft, wohl aber dürfte gerade der Stuhl – als Objekt und Medium, als Symbol und Metapher – und mehr noch der tatsächlich benutzbare Stuhl, als eine wichtige Schnittstelle zwischen Kunst, Betrachter und dem »Herrschaftlichen« gelten. In kaum einem anderen Artefakt tauchen derart massive Verschränkungen von Mobilität des Objekts und Lokalisation des Subjekts (im Sinne einer Verortung) sowie politischer Symbolik und Aussagekraft auf wie im Sitzmobiliar.[5] Zugleich isoliert sich das sitzende Subjekt von seinem Umfeld, macht sich zum Individuum. Indem man sich setzt, verstärkt man die Grenzen des eigenen Körpers,[6] welche durch die Haut und letztlich die Kleidung gebildet werden.[7] Die Begriffe »Politik« und »Kunst« (bzw. »Ästhetik«), in deren Definitionsräumen sich »künstlerischer« Stuhl und »künstlerisches« Sitzen bewegen, werden oft als komplementäre Pole gesehen, obwohl ihre Ausschließlichkeit bei genauer Betrachtung in sich zusammenbricht.[8]

Der Sitzende exponiert sich, macht sich gegenüber dem Stehenden zum (gesellschaftlich) Höhergestellten; zugleich ist man einer unmittelbaren Handlungsunfähigkeit anheimgestellt. Die kulturgeschichtliche Verschränkung des Sitzens mit Machtvorstellungen sowie Herrschaftsansprüchen bedeutet eine Privilegierung des im Sitzen Denkenden.[9] Elias Canetti deutet dies an, wenn er schreibt: „Jeder Sitzende drückt gegen etwas, das wehrlos ist und keinen aktiven Gegendruck ausüben kann.“ Er verweist weiterhin auf die „leibliche Schwere des Menschen, die im Sitzen zur Schau getragen wird. (…) Zusammen mit den dünnen Beinen gesehen, wirkt der Sitzende tatsächlich schwer. (…) Die Würde des Sitzens ist ganz besonders in seiner Dauer enthalten.“[10] Dabei ist das sich setzen, wie auch A.C. Danto andeutet, stets mit dem sich erheben verbunden. E. Canetti macht dies am ritualisierten Aufstehen deutlich, wenn er auf den Richter zu sprechen kommt, welcher bei der Verhandlung bewegungslos im Sitzen „verharrt und sich dann, wenn das Urteil bevorsteht, plötzlich erhebt (…).“[11]

Sich setzen, das Sitzen und das Aufstehen scheinen in bestimmten Kontexten symbolische Aussagekraft zu besitzen, deren Grundlage wiederum aus dem Ritual erwächst. Insbesondere das »Herrschaftliche Sitzen« ist in einen zirkulären Prozess von sich niederlassen und erheben eingebunden. Es sind Vorstellungen die unmittelbar an Visuelles geknüpft sind: Wie sitzen wir, und was drücken wir durch unsere Haltung aus? Dieser Alltäglichkeit des Sitzens lassen sich unterschiedliche Nuancen geben, die etwas über unseren Wunsch nach äußerer Repräsentation und seine kulturgeschichtliche Wurzeln ausdrücken. Während der Stuhl als Thema und der Einsatz des menschlichen Körpers erst im Laufe des 20. Jahrhundert Gegenstand der Bildenden Kunst wurden, war beides seit jeher Gegenstand herrschaftlicher Repräsentation in Werken der Kunst. Im Zuge der Demokratisierung wurden diese Bildformen im politischen Alltagsgeschehen obsolet und doch bestehen sie als Teil des (visuellen) Kulturellen Gedächtnisses fort.

Den Stuhl als eine entscheidende Station und bedeutsamen Ausdruck menschlichen Kulturschaffens zu bezeichnen, mutet zunächst ungewöhnlich an. In dem Maße wie er eine physische Schöpfung menschlicher Kultur ist, so ist auch das Sitzen eine kulturelle Errungenschaft, die nach Hajo Eickhoff als Signum der Grenze zwischen Mensch und Tier gelten kann.[12] Die Haltung des Sitzens ist bereits so tief in unserer Kultur(-geschichte) eingegraben, dass sie uns als eine natürliche Haltung erscheint. In seiner Dissertation Sitzen Bleiben – Sedative Strukturen als anthropologische Ordnung, die 1993 in überarbeiteter Fassung unter dem Titel Himmelsthron und Schaukelstuhl – Die Geschichte des Sitzens erschien,[13] zeigt Hajo Eickhoff auf, dass das Sitzen eine Konfiguration des menschlichen Körpers ist, die erst erlernt werden muss.[14] Unter dieser Prämisse offenbart der Ausspruch »Im Leben lernt der Mensch zuerst das Gehen und Sprechen. Später lernt er dann, still zu sitzen und den Mund zu halten«[15] auf zynische Weise die Genese des (bereitwillig) lernenden Menschen zu einem Bürger, der sich ganz im Sinne Hajo Eickhoffs zu einem homo sedens und sogar homo sedativus entwickelt hat.

Die Entstehung des auf Stühlen sitzenden Bürgers ging Eickhoff zufolge einher mit der Demokratisierung der westlichen Staatenwelt und war mit dem massenhaft industriell gefertigten Stuhl abgeschlossen; jeder Bürger konnte nun seinen eigenen Thron »be-setzen«.[16] Im Befreiungsschlag des Menschen aus der monarchischen Herrschaft adaptierte dieser im Stuhl herrschaftliche Zeichen und Haltungen.[17] Aus unserer heutigen Gesellschaft ist das Sitzmobiliar nicht mehr wegzudenken. Führt man sich vor Augen, welche unterschiedlichen Sitzmöbel ein Mensch während nur eines Tages gebraucht – oder wortwörtlich besetzt, zeigt sich darin bereits die angesprochene kulturelle Bedeutung des Setzen als Handlung oder des Sitzens als Haltung und des Stuhles als sein Instrument oder Medium: wir sitzen auf der Toilette,[18] während unserer Nahrungsaufnahme,[19] zum Gespräch,[20] im Auto, der Tram oder dem Zug, während unserer Arbeitszeit und während unserer Freizeit.[21] Damit offenbart sich im Stuhl ein konstituierendes Moment für Gemeinschaft oder Gesellschaft. Man mag sogar so weit gehen Sitzgruppen als sinnlich-physische Marker eines sozialen Ortes im physikalischen Raum zu bezeichnen. Hajo Eickhoff bezeichnete den Stuhl als eine Möglichkeit der »reibungslose[n] Kommunikation« über die Grenzen sozialer Herkunft hinaus.[22] Zieht man beispielsweise die Theorien Niklas Luhmanns hinzu, für den Kommunikation die fundamentale Operation sozialer Systeme darstellt, dann rückt der Stuhl endgültig in das Spektrum gemeinschaftskonstituierender Werkzeuge oder Medien.

Erstmals taucht der Stuhl im Zusammenhang mit der Sesshaftwerdung des Menschen auf. Obwohl er früh in zahlreichen Varianten gestaltet und unter verschiedenen Bedingungen eingesetzt wurde, blieb er bis in die Neuzeit vor allem der Herrscherelite vorbehalten. In seiner speziellen Form »Thron« gilt er bis heute über die Kulturgrenzen[23] hinweg als Zeichen von Herrschaft.[24] Als Insignie ist er dabei traditionell in den Inthronisationsakt des Monarchen eingebunden.[25] Zugleich unterscheidet er sich von den übrigen mobilen Insignien, da ihm der Status des unmittelbaren »Attributs« fehlt.[26] Die Wurzeln des Thrones, seiner Bedeutungen und sein Dasein als Gebrauchsgegenstand reichen dabei bis in die Antike zurück. Als Ding, also als ein Objekt unseres Alltags, verrichtet der Stuhl umfangreiche Aufgaben, die nicht selten in direkter oder indirekter Verbindung mit den tieferen Sinnebenen eines Herrscherthrons stehen. Auf dem Stuhl lässt sich der Mensch nieder, er bringt seinen Körper in eine Ruheposition und setzt damit Ressourcen frei, die für andere Aufgaben genutzt werden können.[27] In diesem Sinne ist die Inthronisierung des Herrschers zugleich mit dem Beginn eines Ordnungsparadigmas der ihn umgebenden Gemeinschaft verknüpft.[28]

edit: Fortsetzung in Künstlerstühle – Stühlekünstler.


Endnoten

[1]: Begriff eingeführt durch László Glozer (1981): Westkunst; Zeitgenössische Kunst seit 1939. Köln: DuMont, S. 234-238. Dazu auch Hamburger Kunsthalle (Hg.)(1996): Im Blickfeld; Ausstieg aus dem Bild. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle, Jg. 2.1997. Hamburg: Christians. Dieser Kurzschluss zwischen Kunstwerk und Realität basiert zuletzt auf mythischen Weltvorstellungen, wie sie seit der Urzeit als magische Weltaneignung auftreten (Emmrich 1982, S. 35-39).

[2]: Sämtliche Möbel – mobile Raumkompartimente – organisieren den sozialen Raum in vergleichbarer Weise um. Siehe zur Raumsoziologie Löw, Martina (2005): Raumsoziologie. Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft Bd. 1506. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Einen Überblick auf ausgewählte Raumtheorien liefert der Band Dünne, Jörg; Günzel, Stephan (Hgg.) (2006): Raumtheorie; Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft Bd. 1800. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Der Raumbegriff wird seit Ende der 1980er Jahre von den Wissenschaften wieder verstärkt in den Vordergrund gerückt. Zum »spatial turn« siehe Döring, Jörg; Thielmann, Tristan (2008): „Einleitung: Was lesen wir im Raume? Der Spatial Turn und das geheime Wissen der Geographen“. In: Döring, Jörg; Thielmann, Tristan (Hgg.) (2008): Spatial Turn; Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld: transcript, S. 7-45. Sofern keine Bühnensituation erzeugt wird, erfolgt in der performativen Kunst eine Restrukturierung des Raumes oftmals mit Mitteln des menschlichen Körpers.

[3]: Zur Beschäftigung der Kunst mit Politik: Glöde, Marc (2010): „Über das Verhältnis von Politik und Ästhetik in den Künsten“. In: Kritische Berichte; Bd. 38, 2010, Nr. 1. Marburg: Jonas-Verl., S. 5-18; hier S. 10f.

[4]: In der Philosophie existiert im Rahmen der »Ästhetischen Erfahrung« eine Trennung zwischen Kunst und Alltag (z.B. Seel, Martin (2000): Ästhetik des Erscheinens. München et al.: Hanser). Zugleich finden sich Positionen, die sich für eine »Allgemeine Ästhetik« aussprechen. Im angloamerikanischen Raum lässt sich hier Richard Shusterman benennen, welcher aus seiner Position des Pragmatismus heraus eine Leibliche Erfahrung konstruiert. (Shusterman, Richard (2005): Leibliche Erfahrung in Kunst und Lebensstil. Philosophische Anthropologie Bd. 3. Übers. von Robin Celikates. Berlin: Akad.) Im deutschsprachigen Raum sind seine Ansätze jedoch nicht unwidersprochen geblieben. Hier entwickelte z.B. sein Kritiker Gernot Böhme die Aisthetik, welche Ästhetische Erfahrung als vorbegriffliche Erfahrung versteht (Böhme, Gernot (2001): Aisthetik; Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München: Fink).

[5]: Eickhoff, Hajo (1993): Himmelsthron und Schaukelstuhl; Die Geschichte des Sitzens. München et al.: Hanser, S. 165 und zusammenfassend: ders. (1997): „Sitzen“. In: Wulf, Christoph (Hg.) (1997): Vom Menschen; Handbuch Historische Anthropologie. Weinheim et al.: Beltz, S. 489-500; hier S. 494.

[6]: Hajo Eickhoff bezeichnet dies als Möglichkeit des Sitzenden die Geselligkeit abzustreifen und sich die Privatheit zurückzuziehen (Eickhoff, Hans Joachim (Hajo) (1990): Sitzen Bleiben; Sedative Strukturen als Anthropologische Ordnung. Univ. Diss. FU Berlin, S 191f).

[7]: So bezeichnet Vilém Flusser die „Haut als Grenze zwischen mir und der Welt.“ (Flusser, Vilém (2006): „Haut“. In: Flusser Studies; Bd. 2, 2006. e-journal, S. 1 [http://www.flusserstudies.net/pag/02/flusser-haut02.pdf | 20.01.2013]) In vergleichbarer Weise sieht Hans Sepp die Funktion der Haut aus einer leibphänomenologischen Perspektive: „Die Konstruktion des realen Außenraums erfolgt über die Grenze meiner Haut.“ (Sepp, Hans Rainer (2010): „Gabe und Gewalt. Gedanken zum Entwurf einer leibtheoretisch verankerten Anthropologie.“ In: Zehetner, Cornelius (Hg.) (2010):Transformationen der kritischen Anthropologie. Festschrift für Michael Benedikt zum 80. Geburtstag. Wien: Löcker, S.133-146; hier S. 135) Mit dieser Scheidung des Selbst von einem Außen beginnt nicht nur das Ego, sondern auch die Möglichkeit einer Welterfahrung. Dieter Mersch schreibt, dass „nicht der Leib (…) ihr [der Wahrnehmung; Anm. d. Verf.] Medium [ist], wohl aber der Bezugspunkt, die Koordinate.“ (Mersch, Dieter (2001): „Aisthetik und Responsivität. Zum Verhältnis von medialer und amedialer Wahrnehmung“. In: Fischer-Lichte, Erika et al. (Hgg.) (2001): Wahrnehmung und Medialität. Theatralität Bd. 3. Tübingen und Basel, S. 273-299; hier S. 280).

[8]: Ventura, Holger Kube (2002): Politische Kunst Begriffe in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum. Wien: edition selene, S. 11-13. Insbesondere die seit geraumer Zeit in den Kunstwissenschaften zitierten Ansätze Jacques Rancières heben die ausschließliche Opposition von »Politik« und »Ästhetik« auf (z.B. Rancière, Jacques (2008): Die Aufteilung des Sinnlichen; Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien. Hg. von Maria Muhle. 2. Auflage. Berlin: b_books; zu Rancières Rezeption innerhalb der Kunstwissenschaft siehe Mayer, Roland (2010): „Politik der Unbestimmtheit; Jacques Rancière und die Grenzen des ästhetischen Regimes“. In: Kritische Berichte; Bd. 38, 2010, Nr. 1. Marburg: Jonas-Verl., S. 19-32).

[9]: Danto, Arthur C. (1987): „The Seat of the Soul: Three Chairs“. In: Grand Street. 1987. Bd. 6, Nr. 4. New York: Grand Street Publications, S. 157-176; hier S. 158.

[10]: Canetti, Elias (1973): Masse und Macht. 3. Auflage. Hamburg: Claassen, S. 447-449; Dazu Strucken, Stefan (2007): Masse und Macht im fiktionalen Werk von Elias Canetti. Düsseldorfer Schriften zur Literatur- und Kulturwissenschaft Bd. 3. Essen: Klartext Verlag, S. 122-166, hier S. 448.

[11]: Canetti 1973, S. 448f.

[12]: Eickhoff 1990, S. 68.

[13]: Eickhoff 1990, S. 13f und ders. 1993. Eickhoff hat zahlreiche einschlägige Texte zum Stuhl und Sitzen publiziert und wird innerhalb der themenbezogenen (kunstwissenschaftlichen) Literatur häufig zitiert.

[14]: Eickhoff 1990, S. 192f.

[15]: Das Zitat wird Marcel Pagnol und Max Weber gleichermaßen zugeschrieben.

[16]: In dieser Form lässt sich folgende Aussage Hajo Eickhoffs interpretieren: „Neuzeitliche Philosophien sind Theorien des Bürgerlichen und Demokratischen. Der Stuhl und die Sitzhaltung sind treffende Zeichen der Begriffe dieser Theorien, während umgekehrt ihre Begriffe eine abstrakte Ordnung des Sitzens darstellen.“ (Eickhoff 1997, S. 494).

[17]: Eickhoff 1990, u.a. S. 220.

[18]: Verwiesen sei hier auf die euphemistischen Bezeichnungen »Stuhlgang«, »Thronen« oder »Sitzung«.

[19]: Wenngleich sich in unserer heutigen Gesellschaft bereits Formen der Essensaufnahme im Stehen oder Gehen eingebürgert haben. Direkt damit verbunden sind sprachliche Variationen des jeweiligen Nahrungsmittels »to go«.

[20]: Eine besondere Form der Verschränkung von Nahrungsaufnahme und Gespräch findet sich an der Bruchstelle vom 19. zum 20. Jahrhundert in der Wiener Kaffeehauskultur. Stefan Zweig beschreibt das Wiener Kaffeehaus als »eine Institution besonderer Art (…), die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann.« (Zweig, Stefan (1944): Die Welt von Gestern; Erinnerungen eines Europäers. Stockholm: Bermann-Fischer Verlag, S. 57) Der Thonetstuhl (Nr. 4 und 14 von M. Thonet) ist symbolischer Ausdruck dieser Kultur.

[21]: Auf diese wichtige Eigenart des Stuhls macht auch Galen Cranz aufmerksam. (Cranz, Galen (1998): The chair; rethinking culture, body, and design. New York, NY et al.: Norton, S. 15f) Obwohl Cranz ebenfalls Arbeiten der Bildenden Kunst aufgreift (S. 85-89, S. 154 und 209f), liegt sein Augenmerk in erster Linie auf einem ergonomischen Design.

[22]: Eickhoff 1990, S. 183 und S. 213.

[23]: Kultur meint hier zunächst in seiner einfachsten Form eine geografisch verortbare und geschlossene Gruppe, die ein gemeinsames Repertoire an Symbolen und Handlungen besitzt. Hierbei folge ich im weitesten Sinne den Ausführungen Jan Assmanns, der Kulturen als eine in zeitlicher und sozialer Dimension geschaffene konnektive Struktur bestimmt, durch welche Menschen auf Basis eines „gemeinsamen Erfahrungs-, Erwartungs- und Handlungsraumes“ (symbolische Sinnwelt) aneinander gebunden werden. (Assmann, Jan (1992): Das kulturelle Gedächtnis; Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: Beck, S. 16) Die Ausführungen J. Assmanns sind insofern interessant, da er sich stark auf die Erinnerung als eine elementare Funktion von Kultur stützt, die in Teilen ebenfalls für die Wahrnehmung im Alltag und letztlich auch der Kunst im Speziellen von Relevanz ist. (Zur Differenzierung des Kulturbegriffs siehe Baecker, Dirk (2001): „Kultur“. In: Ästhetische Grundbegriffe; Bd. 3, 2001. Stuttgart et al.: Metzler, S. 510-556).

[24]: Corsepius, Katharina (2005): „Der Aachener ‚Karlsthron’ zwischen Zeremoniell und Herrschermemoria“. In: Steinicke, Marion; Weinfurter, Stefan (Hgg.) (2005): Investitur- und Krönungsrituale; Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich. Köln et al.: Böhlau, S. 359-375; hier S. 359 und Eickhoff, Hajo (2011): „Thronen als Denken und Meditieren; Die Medialität von Thron und Stuhl“. In: Engelhorn, Klaus; Hackenschmidt, Sebastian (Hgg.) (2011): Möbel als Medien; Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Dinge. Bielefeld: transcript, S. 33-45; hier S. 33f.

[25]: Corsepius 2005, S. 359; Es wäre jedoch zu überprüfen, ob der Thron in der gleichen Form als Insignie gelten kann, wie Zepter oder Reichsapfel. Während Letztere ihren Träger als Herrscher im positiven Sinne auszeichnen, zwingt der Thron den Monarchen in eine Körperhaltung. Nach Hajo Eickhoff wird der Thron u.A. vom Opferstein abgeleitet. Der Monarch muss seine Bewegungsfreiheit opfern, zum Zweck der Ordnungsstiftenden Einheit von König und Thron. Erst in dieser Kombination entfaltet sich nach H. Eickhoff der ganze »Reichtum an Wirkungen und Bedeutungen« (Eickhoff 2011, S. 33). Erst jetzt ist es dem Herrscher in seiner Bewegungslosigkeit möglich für die Gemeinschaft die geistigen Fähigkeiten auszuprägen. (Eickhoff 2011, S. 33 und 35f) Zu beachten wäre an dieser Stelle, dass die formale Ableitung des auf dem Thron sitzenden Menschen bei H. Eickhoff aus einer anderen Richtung erfolgt. (Eickhoff 2011, S. 34).

[26]: Die christliche Ikonographie kennt den Thron als Attribut Salomons, der sitzend die Weisheit symbolisiert. (Mazakarini, Leopold K. (1987): Die Attribute der Heiligen; Die Symbole in der mittelalterlichen Kunst. 2. Auflage. Wien: Braumüller, S. 75f) Zugleich steht der unbesetzte Thron als Hetoimasia in Verbindung mit der Herrschaft Christi. (Bogyay, Th. v. (1994): „Thron (Hetoimasia)“. In: Kirschbaum, Engelbert (Hg.) (1994): Lexikon der christlichen Ikonographie; Bd. 4. Rom et al.: Herder, Sp. 305-313).

[27]: Vgl. dazu Schneider, Ulrich Johannes (1996): „Der Stuhl; Philosophie im Sitzen“. In: Schneider, Ulrich Johannes (1996): Philosophie und Reisen. Leipziger Schriften zur Philosophie Bd. 6. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl., S. 103-115.

[28]: Eickhoff 2011, S. 33; Eickhoff 1990, Kapitel 6, insb. 6.4.

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