„la base de la peinture est l’affirmation de la surface plane“

friedrich vordemberge-gildewart

„farbe ist genauso den physikalischen gesetzen unterworfen wie der ton in der musik. (…) so ist es von sehr grosser bedeutung, bei der gestaltung eines kunstwerkes elementar vorzugehen und nicht die farbe als umschreibendes mittel zu gebrauchen. (…) erst heute hat dank der absoluten kunstgestaltung die bildende kunst das erreicht, was der musik seit beginn als selbstverständlich erschien.“[1]

„in osnabrück wurde ich am 17. november 1899 geboren. meine jugendzeit, kinderzeit, handwerkerhaushalt (…) mein gesellenbrief 1918. ostern 1919 ging ich nach hannover (…): die stadt der «anna blume» (…) diesem frischen wind verdankte ich sehr viel für die richtige stellungnahme in der kunst. (…) 1924 ist eine zeit grosser ereignisse. mit dem maler Hans Nitzschke gründete ich zunächst die «gruppe k» (…) die erste ausstellung der «gruppe k» (…) wurde ein erfolg für uns. (…) Theo van Doesburg (…) [war] sehr von meinen arbeiten beeindruckt, was er dadurch befestigte, indem er mich zum mitglied der «de stijl»-gruppe ernannte und mich nach paris einlud. (…) [durch] diese ausstellung «l’art d’aujourd’hui» (…) 1925 (…) machte ich mein entré in der internationalen kunstwelt. nach hannover zurückgekehrt, merkte ich die ersten resultate: es gab einladungen über einladungen (…)“

(aus: Fragment einer Autobiografie. In: Helms (Hg.), 1976: VG Schriften und Vorträge, S. 25-26)

1936 siedelte vg nach berlin über. verheiratet mit einer jüdin und gebrandmarkt als entarteter künstler ging er von dort aus zunächst in die schweiz und schließlich nach amsterdam. 1954 erhielt er den ruf an die hochschule für gestaltung in ulm und prägte die von max bill neu gegründete neue institution in ihren frühen jahren mit.

 

 

„la base de la peinture est l’affirmation de la surface plane“[2]

„Die Basis aller Malerei ist die Bejahung der ebenen Oberfläche.“ Diese Feststellung Friedrich Vordemberge-Gildewarts, erschienen in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Cercle et Carré von 1930, erschließt sich erst im Kontext des praktischen und theoretischen Œuvres des Künstlers. In einem Brief an Theo van Doesburg erwähnte Vordemberge-Gildewart (allgemein VG abgekürzt) am 20. Oktober 1925 ein Manuskript welches er als Kunstmanifest beabsichtigte zu veröffentlichen.[3] VG zeigte in diesen Textpassagen die Wurzeln seiner eigenen Kunst auf und begründete ihren Stellenwert. Theoretische Reflexionen waren insbesondere für Künstler der abstrakten und konkreten Kunst im frühen 20. Jahrhunderts symptomatisch. An seinem Studienort Hannover kam VG mit zahlreichen dieser international arbeitenden Künstler in Kontakt und wurde binnen kurzer Zeit aktives Mitglied ihres Netzwerkes.

VG betrachtete die Farbe als wahrhaftes Material, das auf der Leinwand zu einem selbstständigen ausdrucksstarken Medium wird.[4] Er distanzierte sich von einer gegenständlichen und narrativen Malerei, in der die Farbe ein Mittel zur Illusion darstellt.[5] Farbe war Energie, die zu anderen Farben Spannungen aufbaute: „diese kunst ist die gestaltung der reinen, elementaren relationen, hervorgerufen und bedingt allein durch das mass, das verhältnis und die spannung der farbtöne: die absolute farbkonstruktion, das heisst die malerei, die völlig von innen heraus gestaltet und keinem einfluss von aussen unterliegt.“[6]

Die absolute Malerei verstand VG als aktives Sehen und Denken, bei dem die Farbflächen in der Vorstellung des Betrachters interagieren.[7] Die Intention, den Betrachter unmittelbar einzubeziehen, bewog VG dazu, die Farbwirkung auf der Bildfläche zu entfalten. Er integrierte neben zahlreichen grobkörnigen Beimengungen zur Farbe auch Objekte, seine Werkzeuge, in seine Bilder: Lineale und Reißbretter, auch Fragmente von Bilderrahmen, welche – farbig gefasst – als Bildelemente fungieren. Im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung reduzierten sich diese raumgreifenden Mittel jedoch auf ein Minimum. Die reliefartigen Bilder stellen den Betrachter vor eine Herausforderung: er wird zum aktiven Wahrnehmen animiert. Je nach seiner Position im Raum und je nach Ausrichtung der Lichtquelle verändert sich das Bild. Kennzeichen aller Arbeiten VGs ist, dass alle Elemente in einer Bildebene liegen.[8] Die Farbflächen verspannen sich, stehen klar gegeneinander, andere lösen sich ineinander auf. Farbenergien lasten, drücken und ziehen an benachbarten Farbflächen. Allein durch das Nebeneinander von Farben gerät das Bild anschaulich in Bewegung.

Seine Kompositionen bereitete VG in Skizzen und Studien vor, er testete akribisch ihre Wirkungen aus und versah ab 1948, vermutlich durch Richard Paul Lohse angeregt, seine Skizzen auch mit Maßangaben.[9] Nach 1949 konzentrierte VG einige seiner Bilder auf elementare Bildelemente und gliederte die Bildfläche in drei vertikale Farbstreifen.

Das Bild K 208, 1957 entstanden, ist in drei nahezu gleiche Flächen geteilt: Links das Schwarz, hart abgesetzt von hellem Grün und Blau, die weich ineinander übergehen. Rechts ein kleines blaues Quadrat auf blauem Grund. Auf der zentralen grünen Fläche sind vertikal gerichtete schmale und verschieden lange Balken nebeneinander aufgereiht. Weiß, Rot und Gelb bilden einen Dreiklang und initiieren im Zusammenspiel mit dem sie rahmenden Grün einen Rhythmus. Sie stemmen gegen das Schwarz, welches selbst nichts in sich aufzunehmen vermag – oder bereits alles verschlungen hat. Die Balken werden von dem kleinen blauen Quadrat in Position gehalten. Es erhebt sich ohne die Farbe zu wechseln reliefartig aus der blauen Fläche und kann über eine visuell-haptische Ebene eine Vermittlerfunktion zwischen Bild und Betrachter einnehmen: es wird zur entscheidenden Schnittstelle zwischen Bild und Raum. Dreiklänge, Rhythmen und Harmonien erinnern an musikalische Prinzipien. Bereits 1974 verwies Gerhard Weber auf die Nähe von VGs Arbeiten zu Musik und Choreografie.[10] Die Spannungsfelder zwischen den Farben, gesehen als Klänge oder Akkorde, assoziieren musikalische Abfolgen. Die aktive Wahrnehmung der Farbklänge eröffnet im Bild eine neue Dimension für den Betrachter: „(…) die zeit, das intervall wird entdeckt. der betrachter sieht gruppen und gruppierungen, die, wechselfällig korrespondierend, nach einem klaren und neuen gesetz in funktion treten. (…) er wird erleben, durch eine farbe festgehalten zu werden, quasi als ruheplatz, um nun so «vorbereitet» und durch die richtung eines farbwertes geführt, den ganzen ablauf in all seinen feinheiten und seiner prägnanz erleben zu können.“[11]

Sämtliche Kräfte des Bildes K 208 sind ausgeglichen und greifen harmonisch ineinander. Balken und Quadrate finden sich ausschließlich in der unteren Hälfte des Bildes, dennoch wirkt die Gesamtkomposition nicht starr. Das Bild besitzt vielmehr Leichtigkeit und Dynamik.

Mit seinen konsequent entwickelten Bildideen befand sich VG am Puls der Zeit. Immer weiter konzentrierte er seine Bildelemente auf ein Minimum und bereitete in seinen Kompositionen Ausdrucksformen vor, die zeitgleich in Europa und den USA entstanden. Auch Künstler der so genannten Farbfeldmalerei wie Barnett Newman wandten sich gegen die strenge Geometrie Mondrians. Und die Vorstellung einer autonomen Wirkkraft der Farbe, welche nicht mathematisch-rechnerisch oder seriell entwickelt werden kann, ist sowohl bei VG wie auch in der amerikanischen Malerei der 1950er Jahre zu entdecken. Die Wurzeln der Malerei VGs finden sich in der konstruktiv konkreten Kunst. Mit vielen Künstlern seiner Generation bildet er eine konsequente Gegenposition zum aufkommenden Informell.[12]

 

 

[1] Friedrich Vordemberge-Gildewart: Zur bildenden Kunst – Ausblick (1953), in: Friedrich Vordemberge-Gildewart. Schriften und Vorträge, Dietrich Helms (Hg.), St. Gallen 1976, S. 73

[2] Statement VGs, abgedruckt in der Zeitschrift Cercle et Carré, Bd. 1, vom 15.4.1930, zitiert nach: Volker Rattemeyer (Hg.): Friedrich Vordemberge-Gildewart. Retrospektive, Ausst.-Kat. Museum Wiesbaden et al., Wiesbaden 1996, S. 278-279.

[3] VG in einem Brief an Theo van Doesburg am 20.10.1925, abgedruckt in: Museum Wiesbaden und Stiftung Vordemberge-Gildewart (Hgg.): Briefwechsel. Friedrich Vordemberge-Gildewart, Bd. 1, Nürnberg 1997, S. 237. – Obwohl VG bis in das Folgejahr an dem Manuskript arbeitete, blieb es eine Sammlung von Fragmenten und wurde nie publiziert. Siehe Dietrich Helms (Hg.): Vordemberge-Gildewart. The complete works, München 1990, S. 13-14.

[4] Friedrich Vordemberge-Gildewart: Raum – Zeit – Fläche (1923-1926), in: Friedrich Vordemberge-Gildewart. Schriften und Vorträge, Dietrich Helms (Hg.), St. Gallen 1976, S. 15.

[5] z.B. in: Friedrich Vordemberge-Gildewart: Der absolute Film (1925), in: Ebd., S. 12.

[6] Friedrich Vordemberge-Gildewart: abstrakt – konkret – absolut (1944), in: Ebd., S. 30.

[7] Judith Meyering: Gestaltung. Vordemberge-Gildewarts Universales Prinzip freier und angewandter Kunst, Diss. Osnabrück 2004, S. 19-20.

[8] Vgl. Jürgen Wissmann: Friedrich Vordemberge-Gildewart. Ein Vermittler zwischen Konstruktivismus und Neuer Farbfeldmalerei, in: Jahresring. Jahrbuch für moderne Kunst. 76/77, Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie (Hg.), Köln 1976, S. 194.

[9] Helms, 1976, S. 96.

[10] Gerhard Weber: Choreographien mit geometrischen Elementen, in: Vordemberge-Gildewart remembered, Herbert Spencer u.a. (Hgg.), Ausst.-Kat. Annely Juda Fine Art, London 1974, S. 60-62.
Auch Judith Meyering betont diese Ebene in ihrer Diss. über den Künstler. Siehe Meyering, 2004, S. 212-214.

[11] Friedrich Vordemberge-Gildewart: abstrakt – konkret – absolut (1944), in: Helms 1976, S. 31.
Vgl. ders.: Zur bildenden Kunst – Ausblick (1953), in: Ebd., S. 73-75.

[12] Vgl. Wissmann,1976, S. 191-199.

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