Gunter und Hagene, die réckén vil balt,
lobten mit untriuwen ein pirsen in den walt.
mit scharpfen gêren si wolden jagen swîn,
bérn únde wísende: waz möhte küenérs gesîn?
(Nibelungenlied Hs B, 16. Aventiure, Vers 916; Ausg. Bartsch/de Boor, Reclam 1999)
Ein Bruch in der Besetzung und der Wunsch nach Experimenten führten zum aktuellen Ludwigshafener Tatort. Lena Odenthals langjähriger Kollege Kopper verließ in Folge 1042 die Serie. Hierum strickten Autor Axel Ranisch und Regisseur Sönke Andresen einen undurchsichtig improvisierten und voll von Kontinuitätsfehlern strotzenden Shining-esken Einsames-Hotel-im-Schnee-mitten-im-Wald-Tatort.
Das Setting wird konsequent als Bedrohungsszenario aufgebaut; Verlust des Netzempfangs, abgelegener Ort, Schnee, Dunkelheit und ein (angeblich) heraufziehender Sturm. Der Wald als Wildnis.
It has been a convenient trope in medieval historiography and literary scholarship to argue that the natural world, especially the forest, mattered little for medieval poets, unless a narrative turned to scary events, involvong robbers or wild, ferocious animals.
(Albrecht Classen (2016): „‚Der Wald war sein Schicksal….‘ An Ecocritical Reading of the Nibelungenlied“, S. 270. In: Amsterdamer Beiträge zur Älteren Germanistik. Bd. 76, 2016, S. 270-289)
In den vergangenen Jahrzehnten brodelte in politischen und gesellschaftlichen Debatten sporadisch die Frage nach einer – oder der Deutschen Kultur hoch. Diese konservatorische Angst um vermeintlich genuin europäische, respektive deutsche Werte fußt jedoch in ihrem Grund auf einem Missverständnis. Man versucht(e) aus historischen Entwicklungen eine normative Blaupause für ein Handeln in der Zukunft zu generieren. Dabei verengt sich der Blick auf die Geschichte zu einer idealistischen Phrasendrescherei. Entkontextualisierte Einzelbegriffe gebaren diese Debatte. Und doch war es ein Bemühen um die Anerkennung eines Kulturpluralismus unter den Prämissen von Aufklärung und Demokratie. Leider vereinnahmt der politische rechte Rand den Begriff um Kultur seit einigen Jahren für seine Zwecke. Dabei ist der Mißbrauch dieses Begriffs für kulturelle Separation kein neues Phänomen. Innerhalb diverser Forschungszweige löste der Kulturbegriff andere vorbelastete Begriffe ab.
Wie wir denken und handeln ist unmittelbar mit unserem persönlichen Erfahrungsraum verknüpft. Sprache, Erziehung, persönliche Erinnerungsorte und soziales Umfeld haben Einfluss. Das was man gemeinhin als Kultur bezeichnet, fließt in alle Felder gleichermaßen ein.
Kultur meint in seiner einfachsten Form eine geografisch verortbare und geschlossene Gruppe, die ein gemeinsames Repertoire an Symbolen und Ritualen besitzt. Jan Assmann bestimmt Kulturen als eine in zeitlicher und sozialer Dimension geschaffene konnektive Struktur, durch welche Menschen auf Basis eines „gemeinsamen Erfahrungs-, Erwartungs- und Handlungsraumes“ (symbolische Sinnwelt) aneinander gebunden werden. (Jan Assmann (1992): Das kulturelle Gedächtnis; Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München, S. 16). Die Ausführungen Jan Assmanns sind insofern interessant, da er sich stark auf die Erinnerung als eine elementare Funktion von Kultur stützt, die in Teilen ebenfalls für die Wahrnehmung im Alltag und letztlich auch der Kunst im Speziellen von Relevanz ist.
In Anlehnung an die französische Publikationsreihe Les Lieux de Mémoire erschien in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung eine Sammlung „Deutscher Erinnerungsorte“. Bemerkenswerte ist nicht die Ausweitung des Ortsbegriffs auf nichtmaterielle Entitäten, wie bereits in der französischen Reihe durch Pierre Nora geschehen, sondern die Auslassung eines bestimmten Themas. Mit „Flucht und Vertreibung“ findet auch ein abstraktes Konzept Einzug in die Liste „Deutscher Erinnerungsorte“.
Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz der Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und fühlt sich eins mit den Bäumen. (…) Er fürchtete sich da nicht, er fühlte sich beschützt, einer von diesen allen.
(Elias Canetti (1973): Masse und Macht. 3. Auflage. Hamburg, S. 195f)
Im Hochmittelalter war der Wald ein anti-urbaner Raum, der durch Gesetzte reguliert werden musste, um dem menschlichen Erfahrungsraum eingeschrieben werden zu können. Natur wurde symbolisch durch die Linse von Theologie und Gesetz betrachtet (Classen, S. 271). Zugleich war er Handlungsraum mittelalterlicher Literatur. In Erec, Iwein, Parzival und dem Nibelungenlied ist der Wald als Verlockung beschrieben (Classen, S. 275). Und doch bleibt der Wald aus Sicht höfischer Dichtung ein „Hort des Bösen und Abnormen“ (Wilhelm Busse zitiert nach Christoph Fasbender (2007): „Siegfrieds Wald-Tod. Versuch über die Semantik von Räumen im Nibelungenlied“, S. 18. In: Staubach, Nikolaus; Johanterwage, Vera (Hgg.) (2007): Außen und Innen. Räume und ihre Symbolik im Mittelalter. Mediävistisches Graduiertenkolleg der Universität Münster 1998 und 2005. Schriftenreihe: Tradition, Reform, Innovation; Studien zur Modernität des Mittelalters. Frankfurt am Main et al., S. 13-24). Legt man die Waldvorstellungen konsequent aus, sind in ihm handelnde Heroen in der höfischer Dichtung zum Zweck der Resozialisierung geradezu in den Wald strafversetzt (Fasbender, S. 14).
Das Bedrohliche und die Vorstellung des Waldes, als eines verwunschenen und mythischen Ortes zieht sich bis in die Neuzeit hinein. Noch in den Volksmärchen ist der Wald ein gefahrenbehafteter Raum abseits zivilisatorischer Strukturen. Zugleich fungiert er im Märchen als Ort der Reifung. Noch ist er weit entfernt vom romantischen Dichterwald (Bernd Springer (2014): „Der Wald in den Märchen der Brüder Grimm. Anmerkungen zur kulturgeschichtlichen Bedeutung des Waldes“, o.S. http://blogs.uab.cat/berndspringer/files/2014/07/Der-Wald-in-den-M%C3%A4rchen-der-Br%C3%BCder-Grimm-und-danach.pdf; zuletzt gesehen: 11.03.2018). Für die Brüder Grimm schien die Vorstellung des Waldes im religiös-kultischen Haingedanken verwurzelt, während sie zugleich die „Nationalisierung“ des Waldes vorantrieben und an der Festigung der Idee des deutschen Waldes teilnahmen (Springer). Die „Wiederentdeckung“ von Tacitus Germania und eine frankophobe Grundhaltung während der napoleonischen Besatzung unterstützten die Ausbildung einer Vorstellung des genuin Deutschen Waldes. Es waren die Gebrüder Grimm, welche dies vermittels Märchen verstärkt in den Blick nahmen. Ansinnen war es, die Sammlungen als „deutsche Märchen auszugeben, die sich in deutschen Wäldern zugetragen haben – und das, obwohl Märchen prinzipiell keine konkrete Zeit und keinen konkreten Ort kennen“ (Springer). So wurden die Märchen, nicht zuletzt auch durch die Illustrationen, im Hessischen Raum verortet. Dadurch erhielten sie eine heimatverbundene Note. Auch im Textkörper erhält der Wald erst nach und nach seine besondere, bedrohliche Funktion: „In Fitchers Vogel heißt es in der 7. Auflage der Grimmschen Märchen: Der Hexenmeister entführt die Töchter «in einen finsteren Wald zu seinem Haus, das mitten darin stand». Dieser Wald wurde erst in der 2. Auflage ergänzend eingefügt und in der 3. Auflage zusätzlich mit dem Adjektiv «finster» belegt. Ein Vorgang der Romantisierung durch Wilhelm Grimm als Angebot an den «Zeitgeist»“ (Albrecht Lehmann: „Wald. Die Volksliteratur und deren Weiterwirken im heutigen Bewusstsein“, S. 41. In: Ute Jung-Kaiser (Hg.) (2008): Der Wald als romantischer Topos. 5. Interdisziplinäres Symposion der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main 2007. Bern et al., S. 37-52).
Die romantische Poesie ist unter den Künsten was der Witz der Philosophie, und die Gesellschaft, Umgang, Freundschaft und Liebe im Leben ist. Andre Dichtarten sind fertig, und können nun vollständig zergliedert werden. Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden …
(Friedrich Schlegel – Athenäums-Fragment 116 in: Ernst Behler et al. (Hg.): Friedrich Schlegel. Kritische Ausgabe. 1. Abt. Bd. II, S. 182 f.)
Erst mit dem Einzug in die Romantik, gewinnt der Wald die Hauptrolle in Kunst, Musik und Dichtung. Hier erfüllt den Begriff ein Erlösungsmotiv, das in dieser Form in Zusammenhang mit dem Wald zuvor nicht gedacht wurde (Ute Jung-Kaiser: „Vorwort“, S. 9. In: Jung-Kaiser 2008, S. 9-11).
Die Romantik entwickelt sich als Gegenentwurf zur strengen, durch Kant dominierten Aufklärung, welche noch der Ratio und Antiken Kunst und Philosophie den Vorrang gab; Nun war das Gefühl vorherrschendes Leitbild. Der Wald wird nun religiös überhöht, entwickelt sich zu einem schönen, aber grausamen Ort. Bäume werden zu Metaphern des Seins, ihre Multiplikation zum Wald „erschließt [in der Romantik] (…) eine traumhaft-magische Seelenlandschaft“ (Ute Jung-Kaiser: „Der Wald als romantischer Topos. Eine Einführung“, S. 16. In: Jung-Kaiser 2008, S. 14-35).
Terra, etsi aliquanto specie differt, in universum tamen aut silvis horrida aut paludibus foeda, humidior, qua Gallias, ventosior, qua Noricum ac Pannoniam aspicit; (…).
(Tacitus Germania 5,1)
So sehr die Unwirtlichkeit des Waldes durch die Romantik ins Positive verklärt wurde, blieb dem Wald stets etwas Anti-kulturelles anhaften. Was uns landläufig als Wald begegnet ist ein forstwirtschaftlich gepflegter Nutzwald. Er ist fern eines unberührten Urwaldes, dem Wohnort von Feen und Elfen. So beschreibt es Klaus Seemann (ETH Zürich) zu beginn eines kurzen Artikels über den »Wald als Kulturphänomen« (Klaus Seemann (1993): „Der Wald als Kulturphänomen; von der Mythologie zum Wirtschaftsobjekt“. In: Geographica Helvetica 1993, Nr. 2, S. 61-66). Der Wald ist eng mit Ursprungsmythen verknüpft. In ihnen spielt der Baum und der Wald eine gewichtige Rolle. Erst die kulturellen Leistungen des Ackerbaus führten zu einer Distanz zwischen Mensch und Wald. „Felder bzw. Wiesen sind Räume, in die menschliche Existenz hineinwirkt, doch bleibt dem Wald sein Vorrang als mythischer Raum erhalten“ (Seemann, S. 63). Der Wald verliert in diesem Zuge seine mythische Vorrangstellung und beherbergt fortan nurmehr „nicht kulturfähige Geistwesen“ (ebd.).
Zivilisatorische Leistungen als Aneignungs- und Verdrängungsprozesse; dies zeigte sich bereits in frühgeschichtlichen Phasen des nordalpinen Raumes. Tacitus beschreibt die Orte germanischer Kulthandlungen als künstliche Lichtungen in Wäldern, wodurch „die Germanen ihren Göttern nicht an deren Aufenthaltsorten im Wald gehuldigt [haben], sondern auf freien »kultivierten« Flächen“ (Seemann, S. 66 En 6). Der Wald in seiner Lesart »Urwald« wird als Inbegriff des Unzivilisierten verstanden. Zugleich entwickelt sich der Wald zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer Sehnsuchtslandschaft.
Die Schnittstellen von Wald und Düsternis wiederholen sich auch in Visualisierungsstrategien der Gegenwartskunst. Anselm Kiefer schafft mit seiner Kunst eine besondere Vermengung historischer Aufarbeitung und kritischer Abarbeitung an Identitätskonzepten. Eine ganze Reihe seiner Werke befasst sich mit dem Wald oder weist durch ihre spezifische Gestaltung in Verbindung mit Bäumen (der Senkrechten) eine Nähe zu Waldvorstellungen auf.
Nazi-Zeit, Nibelungenlied, Varus-Arminius-Legende. Bei Anselm Kiefer tauchen als genuin deutsch deklarierte Themen auf breiter Basis auf. Seine Holzschnitte zum Thema Rhein und Bilder wie Mann im Wald (1971) greifen ästhetische Strategien auf, wie sie in vergleichbarer Weise in Fritz Langs Film Die Nibelungen (1924) aber auch dem NS-Propagandafilm Ewiger Wald (1936) gebraucht wurden (zu letzterem FIlm siehe beispielhaft Kerstin Stutterheim: „Der deutsche Wald im nationalsozialistischen Kulturfilm“. In: Jung-Kaiser 2008, S. 237-254 und Kerstin Stutterheim, Ute Jung-Kaiser: „Addendum: Ewiger Wald (1936); Eine symphonische Filmdichtung“. In: Jung-Kaiser 2008, S. 255-258). Das Schwarz-Weiß der Holzschnitte und die Trostlosigkeit und Einsamkeit von Mann im Wald – kombiniert mit dem darin auftauchenden brennenden Baum-Schwert als symbolische Ebene, unterstreichen die unzählige Male reproduzierten Vorstellungen des Waldes.
„In dieses […] Waldverständnis wirken überall in der Welt historisch gewachsene Muster, Traditionslinien hinein. Wer als geborener Mitteleuropäer heute über typische Landschaftsformen nachdenkt oder redet, […] der spricht zugleich über Vorgaben der bildenden Kunst, der belletristischen Literatur, der Volksliteratur und der Musik, außerdem über die naturwissenschaftlichen, politischen und ökologischen Informationen […]. Selbst im individuellen Einzelfall dürfte es aussichtslos sein, die bewußtseinsprägende Wirkung der tatsächlichen Naturerfahrungen in Form von Beobachtungen und Erlebnissen, von Spaziergängen und Wanderungen seit der Kindheit von solchen kulturell fest etablierten Sekundärerfahrungen zu isolieren. Wir erkennen auf einer Lichtung die Bilderwelt der Malerei des 19. Jahrhunderts wieder, und wenn Nebel darüber aufsteigen, kommt uns die Szene vielleicht märchenhaft vor. Aber ein paar Fichten am nahen Horizont weisen unverkennbar zur Spitze hin die typischen Auflichtungen der Baumkronen […] Dieses Zusammenspiel von konkreter Naturerfahrung mit den vielfältigen Deutungsmustern und ästhetischen Vorgaben ist gemeint, wenn von Waldbewußtsein die Rede ist.
(Albrecht Lehmann, Klaus Schriewer (Hg.) (2000): Der Wald; Ein deutscher Mythos? Perspektiven eines Kulturthemas. Bonn, S. 10; den Hinweis verdanke ich einer Seminararbeit, die 2011 an der Leuphania verfasst wurde.)
Alles steht und fällt mit der Frage, was nun „die“ Deutschen sind? Man kann nicht nach einer kulturellen Gemeinsamkeit fragen und sie fordern, wenn man bereits fern eines einheitlichen Handlungs- und Erfahrungsraumes ist. Wie viele der jüngeren Generationen sehen im Wald tatsächlich noch einen Sehnsuchtsort, wie er durch jahrhunderte Kulturgeschichte geschaffen wurde? Vieles von der Antwort verbirgt sich gewiss in der deutschen Sprache. Naturschutz und Schulbildung geben das ihrige hinzu. „Bis in die Sprachmuster hinein artikuliert sich das heutige Waldbewusstsein auf solch romantische Weise. Was hier Klischee ist und was erlebtes Gefühl, ist eine rein akademische Frage, denn die kulturellen Vorgaben des Bewusstseins wirken stets in unsere Wahrnehmungen und Gefühle hinein“ (Lehmann, S. 48).
Aus postkolonialer und ökokritischer Sicht (Ecocriticism) mag man sich die Frage stellen, inwiefern der Bezug „der“ Deutschen zum Wald in Wechselwirkung zum Kolonialismus steht, der aus einer Haltung der Zivilisierung vermeintlich unkultivierter Weltteile entstand.
Siegfried und Arminius (Hermann) stehen in untrennbarer Verbindung mit dem Wald. Siegfrieds Abenteuer geschahen im Wald und Arminius schlug die Römer in den unwirtlichen Gefilden Norddeutschlands. „In Deutschland waren es die beiden Namen Siegfried und Hermann, die lange Zeit eine uneingeschränkt positive Bedeutung trugen und nicht von ungefähr in national gestimmten Zeiten besonders populär waren“ (Gunter E. Grimm: „Siegfried der Deutsche. Zur Konstruktion und Dekonstruktion eines Nationalhelden in Gedichten des 19. und 20. Jahrhunderts“, S. 211. In: Füllmann et al. (Hgg) (2008): Der Mensch als Konstrukt; Festschrift für Rudolf Drux zum 60. Geburtstag. Bielefeld, S. 211-229). Die Befeierung des Nibelungenliedes als „teutsche Ilias“ und der ideologische Rückgriff auf die – in Wirklichkeit temporäre Zurückdrängung der Römer durch Arminius in den Geburtstagen der deutschen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert legten die Fundamente für eine Vielzahl an Vorstellungen, die wir heute unbedarft gebrauchen.
Das konservatorische Festhalten an einem status quo unterminiert die Fundamente aktueller politischer Debatten hinsichtlich Migration und Kultur. Migration verändert Kultur; das Eine bereichert das Andere. Derartiges geschieht seit Jahrtausenden.
Dennoch zeigen die Beispiele aus Kunst und Unterhaltungskultur – um eine sonst überkommende Unterscheidung zu gebrauchen, dass die als genuin deutsch geschaffenen Vorstellungen noch immer reproduziert werden, und sie noch immer als etwas typisch Deutsches verstanden werden. Dies löst freilich nicht das Dilemma einer Frage nach Leitkulturen oder politischen Ambitionen einer erzwungenen Integration. Jedoch zeigen die Beispiele Aufklärung und Romantik gleichsam auf, dass kulturelle Typen – die sich niemals an Staatsgrenzen scheiden lassen, wohl aber zur Abgrenzung dienten, künstlich geschaffen sind und stets veränderlich bleiben.
Insofern müssen besagte Reproduktionen von imaginalen Bildern „kultureller“ Eigenarten auch stets mit vorsicht gebraucht und betrachtet werden. Schnell verfällt man in eine Deutschtümelei und übersieht, dass auch in der Nazi-Zeit diese Eigenarten zu Propagandazwecken reproduziert wurden. Neben seiner wirtschaftlichen Funktion diente der Naturschutz den Nazis auch zum Sympathiegewinn bei der Bevölkerung. Wann immer von Eichen, Linden, Buchen, von Goethe-Eiche und Schiller-Buche gesprochen wird und der Begriff Naturdenkmal fällt, klingen unterschwellig stets auch Hitler-Eichen mit.