Veritas

Hans Rudolf meets Gunther Gerhard. Was sich Damien Hirst bei dieser Statue gedacht hat und was ihre ästhetische Form mit der Idee einer Allegorie von Wahrheit zu tun hat, bleibt wohl das Geheimnis des Künstlers. Bemerkenswert an dieser „zerteilten“ Frau ist das in Bereitschaft nach oben gereckte Schwert – Kundige denken sofort an Franz‘ beinahe hundertjähriges Bild „Feinde ringsum“ – und die geradezu nutzlos hinter dem Rücken versteckte Waage – Wahrheit ist nicht gerecht? Oder: in Wahrheit ist nichts gerecht? In diesem Spannungsfeld, das, ausgehend von Justitia aufgespannt wird, lassen sich zahllose Anknüpfungspunkte zu zeitaktuellen Themen herstellen; Aber sind sie tatsächlich so gemeint? Und wichtiger noch: ist die ästhetische Form zeitaktuell? Die formalen Ähnlichkeiten zu einem Giger und einem von Hagens sind nur oberflächlich und damit wäre die (durchaus erwünschte und erfrischende) Umkehrung der Hierarchie der historischen Trennung von Hoch- und „Populärer“ Kunst nicht im Kunstwerk eingeschrieben. Macht man sich auf die Suche nach anderen Parallelen, wird man in Bezug auf monumentale Plastiken weit im Osten fündig:

„The Motherland Calls“, auch hier wird ein Schwert in Bereitschaft emporgereckt. Bereitschaft und Richtschwert als Allegorie für Wahrheit? Kaum ein Symbol wäre unpassender, was die Absurdität dieser (vermeintlichen) Allegorie offenbart.
Es kann allerdings auch nicht um die Wahrheit des weiblichen menschlichen Körpers oder das Werden eines Kindes gehen. Nichts ist wahrer als der echte menschliche Körper und Hirst wäre mit dem Versuch, sich über Plastinationen von Menschen mit einer Bronze(!)-Plastik hinwegzusetzen schlecht beraten. Und in Bezug auf den (psychotischen) Surrealismus könnte er noch vieles von einem H.R. lernen.
Auffällig ist ohne Zweifel die Verwendung historischer Materialien und Formen. Bronze und Elemente, die mehr nach 19. und frühem 20. Jahrhundert aussehen und die besser in eine Zeit passen, als sich die heutigen Nationalstaaten konstituierten, zeugen von einer künstlerischen Rückwärtsgewandtheit.
Darüber täuscht auch nicht die Möglichkeit hinweg, dass sich die Allegorie – fällt eigentlich irgendwem noch/schon auf, dass die meisten davon Frauen sind? – mit ihrem Schwert selbst Enthäutet hat.

Kurzum bleiben bei Betrachtung dieser Plastik und Reflektion über sie mehr Fragen offen, als beantwortet werden. In mir verbleibt der fade Geschmack, dass durch die Größe der „Veritas“ lediglich ein WOW-Effekt (http://en.wikipedia.org/wiki/Wow!_signal) einstellen sollte und ihre Erscheinung dazu dient, die Betrachter in zwei Lager spalten: die Bewunderer und diejenigen mit der Meinung: „Ist das Kunst, oder kann das weg?“

http://www.spiegel.de/video/hirsts-bronzestatue-verity-sorgt-fuer-empoerung-video-1228583.html

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